Brigitte Baumann an der Seite eines unbezwingbaren
Champions (Foto: Peter Eising, München) |
Das Blut pocht bis in die Ohrläppchen, der Puls ist auf
Weltrekordjagd. Vermutlich kippe ich jetzt gleich tot um.
Offengestanden käme mir das ganz gelegen. Dann bräuchte ich nämlich
nicht gleich ins Scheinwerferlicht vor die laufenden Fernsehkameras
zu treten und mich vor Zigtausenden von Menschen zu blamieren.
Da hab'ich mir ja was Schönes eingebrockt. Was mußte ich blöde Kuh
mich auch bei einer Fernseh-Spielshow bewerben! Aber nachdem ich mir
lange genug auf den Privatsendern angesehen hatte, wie schnell dort
Leute wie du und ich an die große Kohle kommen, beschloß ich zu
handeln. Meine Wahl fiel auf »Hopp oderTop«, eine Gameshow, die
täglich um 19.45 Uhr auf Tele 5 gesendet wird. Allgemeinwissen und
Schnelligkeit sind gefragt - das lag mir. Noch mehr allerdings lagen
mir die Geld- und Sachpreise im Wert von rund 250.000 Mark, darunter
ein todschicker BMW. Ich sah mich schon auf heißen Reifen durch die
Gegend brettern und überlegte, wem ich meinen japanischen Kleinwagen
andrehen könnte.
Auf mein Bewerbungsschreiben an die Produktionsfirma GrundyTV erhielt
ich bereits nach zwei Wochen eine Einladung zu einem Testspiel nach
München. Der Leibniz-Saal des Deutschen Museums war brechend voll.
In den Bänken tummelten sich die unterschiedlichsten Typen -
zwischen Grand Seigneur und Punk, zwischen Mutti und Yuppie. Nur
leichtes Raunen drang durch die von Nervosität geschwängerte Luft.
Dann eröffnete ein junger Mann namens Rainer das Testspiel. »Hopp
oder Top« lief bereits seit 10 Jahren erfolgreich in Australien, dort kenne
die Sendung jedes Kind. Über ein Tonband wurden uns nun 100 Fragen
zugespielt, die wir schriftlich zu beantworten hatten. Da wurde nach
dem größten See Südamerikas gefragt, nach dem Autor von »David
Copperfield«, nach dem Mörder Cäsars. Anschließend mußten wir mit
unserem jeweiligen Nachbarn zwecks Korrektur die Fragebögen
austauschen. Unter schmerzvollen Ohs und Ahs verlas Rainer die
richtigen Antworten. »Antwort 36: Bouillabaisse, aber sagt mir bitte
nicht, wie ihr's geschrieben habt«, sorgte er für Heiterkeit. Mit 83
richtigen Antworten lag ich gar nicht schlecht im Rennen. Wer denn
alle 100 richtig habe, wollte Rainer wissen. »99« meldete sich ein
blonder Brillenträger - was ihm anerkennenden Beifall einbrachte.
Aberwahrscheinlich dachten alle dasselbe wie ich: Streber!
Die Kandidaten mit weniger als 65 Punkten wurden gleich
verabschiedet. Der große Rest durfte sich zum Kurz-Interview
stellen.
Zwei Wochen später wurde ich von der Sekretärin aus der
Redaktionskonferenz geholt. Dringend. Es war Rainer: Ich sei als
Kandidatin ausgewählt worden. Ob ich mir den darauf folgenden
Donnerstag frei nehmen könnte, es würden sechs Sendungen
hintereinander aufgezeichnet.
Dann ist es soweit. Eine grauenvolle, von wilden TV Träumen
gebeutelte Nacht liegt hinter mir. Nach dem Duschen creme ich mich
hingebungsvoll ein, als wär's das letzte Mal. Ich sauge die Wohnung
durch, wünsche mir inniglich, ich dürfte den ganzen Tag hier bleiben
und saugen. Um zehn bin ich bei Susanne zum Haarstyling angemeldet.
In Anbetracht meines bevorstehenden Fernsehauftritts klatscht sie
mir eine Extra-Ladung Schaum ins Haar und verwandelt mich im
Handumdrehen in einen flotten Feger. Doch psychisch kann ich nur
schwer mitziehen. Ich fühle mich wie ein armes, aufgebrezeltes
Schwein auf dem Weg zur Schlachtbank.
High Noon. Auf leisen Sohlen schleiche ich ins Studio 2
der Arri-Fernsehstudios in München-Schwabing. Eine »Hopp
oder Top«-Sendung ist gerade im Gange. Drei Kandidaten im heißen
Frage-Antwort-Spiel. Wer zuerst auf die Klingel haut, darf
antworten. Bei jeder richtigen Antwort gibt's fünf Punkte, bei
einerfalschen Punkteabzug. Der Sieger kann dann wählen: einen Preis
mit nach Hause nehmen oder weiterspielen. Von Runde zu Rundewerden
die Preise wertvoller bis hin zum Hauptpreis im Gesamtwert von
besagten 250.000 Mark.
Preise satt bei "Hopp oder Top"... |
Dem amtierenden Champion wird gerade von einem Studenten arg
zugesetzt. Der Bursche drückt verdammt schnell und weiß einfach
alles. Locker übernimmt er die Führung und stößt den Champion vom
Thron. Eine düstere Ahnung beschleicht mich: Gegen diesen Einstein
werde auch ich antreten müssen...
Mit zwei weiteren Kandidaten geht's in die Maske. Relativ relaxed
liege
ich in einem riesigen Sessel und lasse mich telegen zu
recht schminken. Auf meine Aversion gegen roten Lippenstift kann die
Maskenbildnerin leider keine Rücksicht nehmen. Aus kameratechnischen
Gründen müsse sich der Mund deutlich vom Gesicht abheben, erläutert
sie, während sie meinen Mund knallrot einfettet. Aufgedonnert kehre
ich zu den anderen zurück. Rainer schleppt Sekt an. Genau, das kann
bestimmt nichts schaden. Belebt den Kreislauf, lockert die Zunge.
Joachim alias Einstein hat bereits die vierte Runde überstanden und
eine ganze Brigade von Kandidaten weggepustet, als Rainer mit
schicksalhaftem Blick auf mich zusteuert: »So Brigitte, jetzt ist es
soweit.« Das ist zweifellos der schwärzeste Augenblick meines
Lebens. Ein gut aussehender junger Mann in elegantem Outfit hakt sich
bei mir unter und führt mich hinter die Studiotür. Er ist unheimlich
nett zu mir; trotzdem wäre ich lieber tot. Quälende, elend lange
Sekunden, dann öffnet sich die Tür und ich schreite am Arm meines
flüchtigen Bekannten ins grelle Scheinwerferlicht zum
Kandidatenpult, wo ich neben Champion Joachim Platz nehme.
Herzlicher Applaus aus der Konserve - bei »Hopp oder Top« gibt's kein
echtes Publikum.
Mein zweiter Kontrahent wird von einer rassigen Frau in Rot an
seinen Platz geführt. Carsten, Jurastundent, wie ich dem Small Talk
mit Moderator Thomy Aigner entnehme. Oweia, jetzt bin ich dran.
»Brigitte, Sie haben ja einen Traumberuf, erzählen Sie mal«, wendet
sich Thomy an mich. »Also ich bin Redakteurin bei einem Reisemagazin
und habe so mein Hobby zum Beruf gemacht«, höre ich mich sagen.
Irgendwie fühle ich mich wie in Trance, aber wenigstens verkneift
sich mein Gehirn des befürchteten totalen Stromausfall. Vorerst
jedenfalls.
Jetzt wird's ernst. Thomy startet mit einer Frage nach der
Hauptstadt Ägyptens. Verflixt. Joachim hat den Bruchteil einer
Sekunde früher gedrückt. Doch schon bei der nächsten Frage nach der
Überträgerin der Schlafkrankheit bin ich eher dran. Es geht Schlag
auf Schlag. Carsten und ich haben große Mühe, mit Joachim Schritt zu
halten. Er ist meist der Schnellere am Klingelknopf und - um ganz
ehrlich zu sein er weiß auch mehr. Selbst die griechische
Mythologie, mit der ich auf Kriegsfuß stehe, hat er voll drauf.
Die erste Bonusrunde wird eingeläutet. Thomy fragt nach einem
Schweden, der seinen ersten Film ich drücke einfach mal - und liege
mit Ingmar Bergmann goldrichtig. Das bringt mir ein Frisier-Set ein,
aber leider kein müdes Pünktchen, um zu dem mittlerweile weit
enteilten Joachim aufzuschließen. Bevor es in die alles
entscheidende Schnellraterunde geht, räumt Joachim noch schnell ein
elektrisches Fußmassagebad ab und dann schlägt er gnadenlos zu. Die
Fragen sind ziemlich leicht. Wir alle wissen die richtigen
Antworten. Doch nur einer sitzt am Drücker: Joachim. Nur
gelegentlich gelingt es Carsten und mir, das Solo des Champions
kurzfristig zu stoppen. Aber es reicht nicht. Mit deutlichem Abstand
behauptet er seine Favoritenstellung und kommt eine Runde weiter,
während sich Carsten und ich von »Hopp oder Top« verabschieden.
Die Erleichterung ist unbeschreiblich! Von einer tonnenschweren Last
befreit, mache ich mich auf die Heimfahrt. Und ärgere mich noch
einmal kräftig über die verpaßte Chance. Warum ist mir das Wort
»Memoiren« nicht eingefallen, warum habe ich nicht früher gedrückt
... ach was, wozu brauch'ich soviel Geld? Zuhause angekommen,
bekommt mein kleiner Japaner einen freundschaftlichen Klaps auf die
Kühlerhaube. Schließlich werden wir zwei jetzt doch noch eine Zeit
zusammenbleiben.
Birgitte Baumann
Quelle: "Die Tirolerin - Tirols bunte Illustrierte für die moderne
Frau". Ausgabe NR. 2, April/Mai 1992
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